Wiesbaden. Neun Forschungsvorhaben bekommen für ihre mutigen wissenschaftlichen Ansätze insgesamt rund 2,5 Millionen Euro aus dem Forschungsförderprogramm LOEWE des Landes Hessen. Die LOEWE-Gremien haben diese Projekte für die Förderlinie „LOEWE-Exploration“ für unkonventionelle innovative Forschungsarbeiten ausgewählt. Sie starten zum 1. Oktober 2023 und werden für die Dauer von zwei Jahren finanziert.
Projekte der 4. Runde
Die Projekte starten zum 1. Oktober 2023.
Kann kaltes Plasma helfen, umweltfreundlicher ins All zu fliegen?
Kalte Plasmazündung von grünen Treibstoffen für nachhaltige Raumfahrtantriebssysteme
Antragstellung: Dr. Henrike Jakob, Technische Universität Darmstadt
Umweltfreundlichere Treibstoffe sind eine Herausforderung in der Raumfahrt. Klassische Zündmethoden sind nicht immer verlässlich und können teure Schäden verursachen. Die einzigartigen Eigenschaften von kaltem Plasma könnten eine Lösung sein, um die Zündung katalytisch anzuregen. Der Prozess lässt sich hochgenau steuern, was zu einer hoch effizienten Nutzung der Treibstoffe führt. Da selbst kleinste Gewichtseinsparungen für die Effizienz von Satelliten große Auswirkungen haben, könnte eine innovative Zündungstechnik einen drastischen Einfluss auf die Nachhaltigkeit des gesamten Raumfahrtsektors haben.
Wie können Archäologen an Funden „schnüffeln“?
ArchaeoScent: Zerstörungs- und berührungsfreie Analyse von archäologischen organischen Rückständen und Artefakten
Antragstellung: Prof. Dr. Michael Keusgen, Prof. Dr. Tanja Pommerening, Philipps-Universität Marburg
Untersuchungen in Ägypten haben gezeigt, dass Harze, Balsame und Hölzer auch nach Tausenden von Jahren noch einen charakteristischen Geruch abgeben, der Rückschlüsse auf ihre Zusammensetzung erlaubt. Das Projekt soll ein neuartiges und zerstörungsfreies Verfahren entwickeln: Kernstück ist ein transportabler Gasabsorber, mit dem sich noch am Fundort eines Artefakts ohne weitere Hilfsmittel eine „Geruchsprobe“ entnehmen lässt, um sie später im Labor zu untersuchen. Dabei kommt die hybride Gaschromatographie-Massenspektrometrie-Technik (GC-MS) zum Einsatz. Das untersuchte archäologische Artefakt bleibt unberührt, so dass es völlig unverändert für weitere Untersuchungen zur Verfügung steht.
Können Alexa oder Siri bei Bevölkerungsumfragen helfen?
Wenn Alexa die Fragen stellt. Umfragen mit digitalen Sprachassistenten
Antragstellung: Prof. Dr. Marek Fuchs, Dr. Anke Metzler, Technische Universität Darmstadt
Umfragen sind für Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zur Ermittlung von Einstellungen und Verhaltensweisen unverzichtbar. Dieses Projekt setzt an der Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) an. Es will herausfinden, ob Menschen sich auch von digitalen Sprachassistenten wie Alexa oder Siri befragen lassen und wie fehleranfällig die so gewonnenen Daten sind. Die Forscherinnen und Forscher erhoffen sich Hinweise, für welche Bevölkerungsgruppen und für welche Fragetypen der Einsatz von KI sinnvoll ist und welche Herausforderungen sie mit sich bringt.
Neue Ansätze für effektivere Antibiotika?
Analyse des humanen AMP Gedächtnis mit künstlicher Intelligenz als Strategie gegen mikrobielle Resistenze
Antragstellung: Prof. Dr. Dominik Heider, Prof. Dr. Bernd Schmeck, Philipps-Universität Marburg
Wirkstoffe gegen Bakterien, Pilze und andere Krankheitserreger werden immer weniger wirksam, weil die Resistenz gegen antimikrobielle Wirkstoffe (AMR) wächst. Neue Wirkstoffe werden dringend benötigt. Antimikrobielle Peptide (AMPs) sind Teil des angeborenen Immunsystems fast aller Organismen und können eine wirkungsvolle Alternative zu konventionellen Antibiotika sein, weil sie seltener zur Resistenzentwicklung führen. Noch fehlt es an detailliertem Wissen über die Wirkmechanismen. Sie will dieses Projekt untersuchen.
Wie und was können Menschen aus Genoziden lernen?
Aus welchen Katastrophen lernen? Zum Zusammenhang von Holocaust- und Genocide Education. Eine (trans-)nationale Metaanalyse von Studien zur Vermittlungspraxis weltweit
Antragstellung: Prof. Dr. Christina Brüning, Philipps-Universität Marburg, Prof. Dr. Stefan Peters, Justus-Liebig-Universität Gießen
Das Projekt erforscht an Beispielen, wie Kollektive aus der Erinnerung an Genozide Zukunftsperspektiven zu entwickeln versuchen. Neben der Shoah sollen etwa der Porajmos (Völkermord an Sinti und Roma), die Maafa (Handel mit versklavten Menschen) oder auch Tenochtitlán (Genozid an den Azteken) als Erzähl- und Erinnerungsfolien untersucht werden. Dazu werden empirische Studien aus dem Bildungsbereich einbezogen. In Form einer Metastudie soll dann verglichen werden, wie sich Bildungsinterventionen zu Holocaust Education und Genocide Education auswirken. Die historisch-politische Bildung soll so aufgrund empirischer Befunde zukunftsfähiger und internationaler werden.
Wie kann man Nanoplastik in der Umwelt messen?
Chemisch/mikroskopische Verfahren und KI zur Analyse von Nanoplastik
Antragstellung: Prof. Dr. Moritz Bigalke, Technische Universität Darmstadt
Nanoplastik – Partikel mit weniger als 1000 Nanometern (ein Nanometer entspricht einem Millionstel Millimeter) Größe – kann schädliche Auswirkungen auf Pflanzen, Tiere und Menschen haben. Ziel des Projektes ist eine Messmethode für die Konzentrationen und die Eigenschaften von Nanoplastik in Böden, Wasser und der Luft. Dazu sollen mikroskopische und chemische Verfahren kombiniert mit Künstlicher Intelligenz genutzt werden, um auch sehr kleines Nanoplastik messen zu können.
Wie reagieren Zellen auf Stress und Alterung?
Ap4-all: Diadenosin-Tetraphosphat (Ap4A) – ein unterschätzter Stress-Mediator?
Antragstellung: Prof. Dr. Gert Bange, Dr. Johannes Freitag, Philipps-Universität Marburg
Die Übersetzung der Erbinformation in Eiweiße funktioniert in allen Lebewesen ähnlich. Umwelteinflüsse, Stress und Alterung stören den Prozess und spielen eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Krankheiten. Wie Zellen Veränderungen in der Synthese von Eiweißen wahrnehmen und darauf reagieren können, ist nicht vollständig verstanden. Das Projekt Ap4-all adressiert einen bisher kaum erforschten Mechanismus, welcher entscheidend für die Reaktion von Zellen auf Stress und Alterung sein könnte.
Können natürliche Moleküle aus Zellen Impfstoffe verbessern?
Entwicklung neuartiger RNA-Adjuvantien für verbesserte mRNA-Vakzine
Antragstellung: Prof. Dr. Leon Schulte, Philipps-Universität Marburg
Nicht erst im Kampf gegen die Corona-Pandemie haben sich mRNA-Impfstoffe als lebensrettendes Werkzeug der Medizin etabliert. Dabei regt so genannte Messenger-RNA Immunzellen zur Bildung eines fremden Proteins an und löst eine Immunantwort aus. Allerdings ahmen mRNA-Impfstoffe natürliche Infektionen nicht vollständig nach. Deshalb sind bislang Booster-Impfungen nötig. Das Projekt wird untersuchen, ob bestimmte Substanzen, die Immunzellen bei natürlichen Infektionen bilden, die Wirkung von mRNA-Vakzinen verbessern können. Die Hoffnung ist, dass diese natürlich vorkommenden, pharmakologisch bislang ungenutzten Stoffe mRNA-Impfstoffe wesentlich verbessern und so dabei helfen können, die Auswirkungen künftiger Pandemien zu verringern.
Wie kann aus Stammzellen gezielt neues Gewebe werden?
CellDistinct – Gezielte Zelldifferenzierung durch optimal gradierte Mikrogitterstrukturen
Antragstellung: Prof. Dr. Andreas Blaeser, Prof. Dr. Oliver Weeger, Technische Universität Darmstadt
Aus Stammzellen kann neues Gewebe entstehen, zum Beispiel, um geschädigte Knochen, Muskeln oder Nerven eines Patienten zu heilen. Dabei ist bislang noch eine große Herausforderung, die Differenzierung des Zellwachstums so zu steuern, dass die gewünschten Eigenschaften entstehen. Das Projekt will mittels 3D-Biodruck Mikrogitter entwickeln, die bestimmte Aspekte des Zellwachstums modulieren, ohne die biochemischen Merkmale zu beeinflussen. Die so gewonnenen Erkenntnisse könnten unter anderem patientenspezifischen, funktionalen Gewebeersatz ermöglichen, aber auch bei der Züchtung von Fleisch im Labor helfen.
„Heilung gegen Krankheiten, eine effizientere Raumfahrt oder Meinungsumfragen per KI: Wir fördern neun spannende Forschungsprojekte mit bis zu 300.000 Euro pro Projekt für bis zu zwei Jahre – damit können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dank LOEWE unkonventionelle Hypothesen und radikal neue Ansätze testen“, erklärt Wissenschaftsministerin Angela Dorn. „Wir geben ihnen mit diesem Geld Freiheit: die Freiheit, Risiken einzugehen, ohne die keine Innovation entstehen kann. Hessen schließt damit auch eine Förderlücke im deutschen Wissenschaftssystem, in dem es besonders mutige Wissenschaft unterstützt.“
„Der Programmbeirat stand auch in diesem Jahr vor der großen Herausforderung, aus zahlreichen qualitativ sehr hochwertigen Anträgen im Sinne einer Bestenauslese einige wenige zur Förderung auszuwählen“, ergänzt Prof. Dr. Stefan Treue, Vorsitzender des LOEWE-Programmbeirats. „Die neuen LOEWE-Explorationsprojekte ermöglichen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, ihre gewagten Forschungsideen umzusetzen, die perspektivisch zur Stärkung wissenschaftlicher Exzellenz in Hessen beitragen können.“