Zwei Personen, augenscheinlich mit Einschränkungen, bearbeiten Ton; ihr Lehrer schaut zu.

Teilhabe und Vielfalt

Der Thementext im Masterplan Kultur Hessen zu Teilhabe und Vielfalt.

Hessen ist vielfältig: In unserem Bundesland leben Menschen mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen, Hintergründen und Biographien. Genauso verschieden wie die Menschen in unserem Bundesland sind auch die Bezüge, die Menschen zur Kultur haben, und die Wünsche, die sie mit ihr verbinden.

Kultur ist für alle da. Dieser Gedanke leitet die Kulturpolitik in Hessen. Denn wenn alle an Kultur, an ihrer Gestaltung und Rezeption teilhaben können, kann diese ihre vielen gesellschaftlich wichtigen Rollen wahrnehmen – als Impuls der Inspiration, zur Unterhaltung, als Ort der Verständigung und des Austauschs verschiedener Perspektiven sowie als Ort des gesellschaftlichen Selbstverständnisses, des Zusammenhalts und als kritischer Spiegel der Gesellschaft.

Zentraler Bestandteil für Teilhabe und Vielfalt ist der Abbau von (Mehrfach-)Diskriminierung. Menschen gebührt auch und gerade im kulturellen Kontext Respekt und Wertschätzung unabhängig von Geschlecht und geschlechtlicher Identität, Nationalität, sozialem Status, ethnischer Herkunft, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Lebensalter und sexueller Identität.

Das Land hat sich u.a. mit der Unterzeichnung der „Charta der Vielfalt“ im Jahr 2011 sowie mit dem Beitritt zur „Koalition gegen Diskriminierung“ im Jahr 2014 zu einer vielfaltssensiblen und diskriminierungskritischen Verwaltungspraxis verpflichtet. Übergreifende Maßnahmen wie z. B. die Einrichtung einer Landesantidiskriminierungsstelle im Jahr 2015, die Erarbeitung und Entwicklung der Hessischen Antidiskriminierungsstrategie sowie des „Hessischen Aktionsplans für Akzeptanz und Vielfalt“ leiten sich daraus ab. Das schließt auch die Förderung von Fach- und Vernetzungs- sowie Beratungsstellen in den Bereichen „Antidiskriminierung“ und „Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ ein.

Ein Aspekt ist dabei auch, dass zwar mehr als die Hälfte der Studierenden an Kunsthochschulen Frauen sind, die weibliche Perspektive im Kulturbetrieb aber dennoch immer noch oft unterrepräsentiert ist. Die weibliche Handschrift in der Kunst- und Kulturlandschaft Hessens muss sichtbarer werden und mehr Eingang in Kunstsammlungen, das Aufführungsrepertoire auf den Bühnen, die Filmproduktion und das literarische Schaffen in Hessen finden. Künstlerischen Positionen von Frauen steht mehr Raum in kulturellen Diskursen zu. Erste Ansatzpunkte gibt es bereits: Auf Landesebene erfolgt die Besetzung von Jurys, die über die Vergabe von Kulturfördermitteln entscheiden, in der Regel so, dass eine vielfältige Sichtweise auf die Projektanträge gewährleistet ist. An den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf dem Weg zu einem professionellen Künstlerinnendasein setzen die Ottilie-Roederstein-Stipendien des Landes an. Um das Bewusstsein für von Frauen geschaffene Werke zu schärfen, die im Repertoire viel zu selten vorkommen, unterstützt das Land Einrichtungen wie das Archiv Frau und Musik.

Die Landeseinrichtungen wenden sich in einer Vielzahl unterschiedlicher Projekte an Menschen mit verschiedenen Hintergründen. Sie wollen ihr Publikum motivieren, sich einzubringen und mitzumachen. So gibt es Projekte wie Bürgerensembles und Dialogveranstaltungen mit Regisseurinnen und Regisseuren zu Fragen von Inszenierungen bis hin zur direkten Einbindung von Zuschauerinnen und Zuschauern in die Auswertung der letzten Spielzeit und die Planung der kommenden, wie am Landestheater Marburg, wo die erste weibliche Doppelintendanz gerade Schule macht.

Die Vision:

Das Land möchte möglichst viele verschiedene Menschen für Kultur begeistern. Die hessische Kulturszene soll dabei allen Menschen offenstehen und qualitätsvolle Angebote für alle Menschen schaffen. Barrieren, die Menschen davon abhalten, Kulturangebote wahrzunehmen oder mitzugestalten, baut das Land in den unterschiedlichen Bereichen zielgerichtet ab. Mit seiner Kulturförderung will das Land exzellente Künstlerinnen und Künstler und großartige Projekte unterstützen – ohne Ansicht der Herkunft oder des Hintergrundes der Personen. Dabei gilt es, sich bewusst zu machen, dass der Begriff von Kunst und von förderungswürdiger Kultur stets im Wandel ist.

Wir leben in einer zugleich älter und vielfältiger werdenden Gesellschaft. Für das Land ist es daher selbstverständlich, dass es in seinen Erwägungen immer auch die Bedürfnisse von Seniorinnen und Senioren berücksichtigt. Gerade im Alter kann die Teilhabe an zielgruppengerechten Kulturveranstaltungen und der Zugang zu Kultureller Bildung ein Baustein für Lebensqualität sein.

Für viele Menschen mit Behinderungen gibt es im öffentlichen Leben – und damit auch in und um Kultureinrichtungen – trotz aller Erfolge nach wie vor zu viele Barrieren, die eine Teilhabe nur eingeschränkt möglich machen. Um möglichst vielen Menschen Kulturangebote zugänglich zu machen, ist daher nicht nur eine architektonische Barrierefreiheit, sondern auch eine möglichst barrierefreie Kommunikation und Information das Ziel.

An vielen Orten Hessens ist das Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen Migrationsgeschichten bereits seit Jahren Realität. Das Land möchte auch neu Zugewanderten und Menschen, die schon lange in Deutschland leben, für die hessische Kulturszene gewinnen und ihnen Möglichkeiten der Mitwirkung eröffnen. Kultur kann die Gesellschaft zusammenführen und zusammenhalten, in dem sie verschiedenste Perspektiven und Lebenswelten – etwa die von Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte oder queeren Menschen – sichtbar und erkennbar werden lässt. Zugleich will das Land daran arbeiten, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt und die unterschiedlichen Perspektiven, durch die sie sich ausdrückt, auch eine Verankerung im kulturellen Gedächtnis des Landes finden, sich also zum Beispiel in Archiven widerspiegeln.

Kultureinrichtungen, seien es die Museen, die Theater, die Kinos oder die Soziokulturellen Zentren, deren Förderung das Land in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert hat, tragen viel dazu bei, mit niedrigschwelligen Angeboten die Kultur zu bereichern. Denn der Zugang zu Kultur und ihrer Gestaltung darf nicht von den finanziellen Ressourcen des Elternhauses abhängen – und er muss auch den Menschen möglich sein, die nur über ein geringes Einkommen verfügen. Zu diesen Faktoren kommen oft auch Berührungsängste mit Kulturveranstaltungen. Hier will das Land Projekte unterstützen, die einen sozial gerechten Zugang zu Kultur ermöglichen. 

 

Eine Frau sitzt vor einer Leinwand und malt

Um allen Menschen passende Zugänge zur Kultur zu ebnen, will das Land existierende Barrieren analysieren und Schlussfolgerungen daraus ziehen: Welche Schwellen hindern Menschen daran, Kultur zu erfahren? Was hält sie davon ab, Theater, Konzertsäle oder Literaturhäuser zu betreten und an Kulturveranstaltungen teilzunehmen und diese mitzugestalten? Auch Kulturorganisationen setzen sich ganzheitlich damit auseinander, wie ihre innere Verfasstheit einer sich verändernden Gesellschaft angepasst werden sollte. Um Kulturangebote und ihre Gestaltung niedrigschwellig zugänglich zu machen, ist es auch wichtig, dass die Institutionen sowie Akteurinnen und Akteure der Kultur sich vernetzen, um Erfahrung und Wissen dazu auszutauschen. Diesen Austausch will das Land Hessen unterstützen (s. Kapitel „Vernetzung und Kooperation“).

Das Land bekennt sich zu einer qualitätsorientierten Förderpolitik der Unterstützung von Künstlerinnen und Künstlern sowie von Projekten. Zur Beurteilung künstlerischer Qualitäten sollen in Jurys verschiedene Perspektiven durch eine stärker repräsentative und für mögliche Diskriminierungen sensibilisierte Besetzung der Expertinnen und Experten gestärkt werden. Diskriminierungen gleich welcher Art tritt das Land auch im Bereich Kultur entschlossen entgegen. Benachteiligungen sollen entschieden und nachhaltig ausgeräumt werden. Ein erster Schritt ist dabei stets die Sensibilisierung, um Diskriminierungen nachhaltig zu verhindern. 

Zum Abbau der Barrieren gehört ausdrücklich auch die Vermittlung der Kulturangebote, die in vielen Fällen eine Teilhabe erst ermöglicht (siehe dazu auch den Abschnitt Kulturelle Bildung) und die flächendeckende Verfügbarkeit kultureller Angebote (siehe dazu den Abschnitt Ländliche Räume); dazu kann die Digitalisierung (siehe dort) wesentliche Beiträge auch zur Barrierefreiheit leisten.

Folgende Handlungsfelder wurden im Beteiligungsprozess für wichtig erachtet. Aus diesen wurden erste Maßnahmenvorschläge abgeleitet, um die im Beteiligungsprozess beschriebenen Aufgaben konkret umzusetzen.

  • Status quo und Handlungsbedarfe sichtbar machen (z. B. durch Beauftragung einer Erhebung von Beschäftigungsanteilen, Beauftragung von Nichtbesucherstudien o. ä.).
  • Den Austausch von Verwaltung, Kreativen und Kultureinrichtungen mit der Antidiskriminierungsstelle des Landes stärken, um Möglichkeiten des Schaffens niedrigschwelliger Zugänge sichtbar zu machen und die Inanspruchnahme von Beratung zu ermöglichen.
  • Abbau von Zugangs- und Kommunikationsbarrieren zu Kultureinrichtungen und Kulturgütern für Rezeption und Mitgestaltung vorantreiben, dabei Unterschiede von Organisations- und Institutionsformen berücksichtigen (z. B. durch digitale Kulturangebote, durch Transparenz über die vorhandenen Fördermittel zur baulichen Umgestaltung zur Schaffung von Barrierefreiheit, durch Stärken des Einsatzes von Brailleschrift, durch Förderung einer verständlichen, leichten Sprache in Kultureinrichtungen, durch Förderung des Hinzuzugs von Gebärdendolmetschenden. Auch die digitale Barrierefreiheit ist zu beachten, um Menschen mit Behinderung nicht von der digitalen Teilhabe auszuschließen).

  • Best Practices für Teilhabe und Vielfalt sichtbar machen (z. B. durch Verleihung eines Siegels oder eines Preises).
  • Verankerung von Vielfalt in den Spielplänen und Programmen diskutieren (z.B. durch Weiterbildungsangebote oder Diskussionen im Kulturbeirat).
  • Anreize schaffen, um bisher unterrepräsentierte Gruppen der Gesellschaft in Gestaltung und Rezeption des Kulturangebotes einzubeziehen (z. B. durch Anstoßen von Zertifizierungsprozessen in Kultureinrichtungen, Einbezug des Publikums in die programmatische Arbeit, gezielter Abbau von Hürden für bisher marginalisierte Gruppen innerhalb der Kunst, Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen, veränderte Ansprache, stärkere Öffentlichkeitsarbeit, Preisgestaltung).
  • Das schriftliche Kulturerbe in Archiven und Bibliotheken sowie die musealen Bestände und Sammlungen um Zeugnisse dort bisher wenig repräsentierter Gruppen erweitern (z. B. von Diskriminierung betroffene Teile der Gesellschaft wie Frauen, queere Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte).

  • Auswahlverfahren möglichst frei von Diskriminierungen gestalten (z. B. durch stärker repräsentativ besetzte Jurys, Ermöglichung von Blindbewerbungen in Auswahlverfahren).
  • Vielfaltsorientierte Öffnung der Kultureinrichtungen vorantreiben (z. B. durch ein Programm zur Öffnung der Kultureinrichtungen analog zur Öffnung der Landesverwaltung, interkulturelle Formate, durch Verankerung der Teilhabethematiken in Vereinssatzungen etc.).
  • Teilhabe der Zuschauerinnen und Zuschauer an der Programmgestaltung verbessern (z. B. durch Zuschauerbeiräte, Befragungen nach gewünschten Programmen).

Folgende Maßnahmen sind Vorschläge für eine konkrete Umsetzung in einer kurz- oder mittelfristigen Perspektive: 

  • Gemeinsam mit den Landeseinrichtungen modellhafte Nichtbesucherstudien konzipieren und durchführen. Hierbei soll untersucht werden, welche Barrieren Personen mit niedrigen Einkommen bzw. im Sozialleistungsbezug vom Besuch abhalten und welche Rolle die Preisgestaltung spielt.
  • Informationen zur Landesförderung im Bereich Kultur in Leichter Sprache und in Englisch zur Verfügung stellen.
  • Anreize für Inklusion im Bereich Kunst und Kultur schaffen, z. B. durch einen Preis für Institutionen und Projekte.
  • Analog zum Programm für die vielfaltsorientierte Öffnung der Landesverwaltung ein Programm erarbeiten, das staatliche Kultureinrichtungen als Arbeitgeber z. B. für Menschen mit Migrationsgeschichte oder für Menschen mit Behinderung öffnet.
  • Repräsentanz bisher unterrepräsentierter Gruppen in Jurys und Gremien ausbauen.
  • Gemeinsam mit dem Archiv Frau und Musik ein Weiterbildungs- und Rechercheangebot für Programmverantwortliche in der Kultur entwickeln, um die Repräsentanz von Komponistinnen und Dramatikerinnen in den Programmen und Spielplänen zu erhöhen.
  • Gemeinsam mit dem Landesarchiv und den Landesmuseen über die bestehende archivische Überlieferungssicherung bzw. die strategische und konzeptionelle Gesamtverantwortung der Museumsdirektorinnen und -direktoren hinaus Projekte starten, um gezielt Nachlässe, Objekte oder Zeugnisse von Angehörigen bisher marginalisierter Gruppen für das Landesarchiv und Landesmuseen zu akquirieren und zu erschließen.
  • Die Erarbeitung von Selbstverpflichtungen zur Sensibilisierung für Teilhabethematiken und für Vielfalt unterstützen – sowohl für die eigene Verfasstheit als auch für die Publikumsansprache (z. B. durch Weiterbildungsangebote).
  • Angebote zum gezielten Abbau von Hürden für bisher marginalisierte Gruppen innerhalb der Kunst (z. B. Weiterbildung, Mentoring oder Beratung).
  • Die Kulturverbände dabei unterstützen, gemeinsam mit den Beratungsstellen des Landes nach Lösungen und Finanzierungswegen für die barrierefreie Umgestaltung von Kultureinrichtungen zu suchen.

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