Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur

Großer Erfolg für hessische Spitzenforschungsprojekte

Der Europäische Forschungsrat fördert zehn Nachwuchsforschende an hessischen Instituten mit Starting Grants

Wiesbaden. Der Europäische Forschungsrat (ERC) vergibt an zehn herausragende hessische Forschungsprojekte Starting Grants. Die Nachwuchswissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Darmstadt, Frankfurt und Marburg sowie des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung und der GSI, Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH erhalten für ihre Forschung je 1,5 Millionen Euro. Damit werben sie insgesamt rund 15 Millionen Euro EU-Mittel ein.

Neugier und Leidenschaft

Dazu Wissenschaftsminister Timon Gremmels: „Den exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gilt mein herzlicher Glückwunsch. Mit Ihrer Neugier und Leidenschaft nutzen unsere Nachwuchstalente die hervorragenden Chancen, die das „EU-Rahmenprogramm für Forschung & Innovation Horizont Europa“ mit den Starting Grants bietet. Das Ziel exzellenter Forschung ist es, unser Verständnis der Welt zu vertiefen und den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Die Kreativität der Forschenden ist entscheidend, um Lösungen für einige der dringendsten Probleme unserer Zeit zu finden.“

Was ist der ERC?

Der ERC wurde von der Europäischen Kommission zur Finanzierung grundlagenorientierter Spitzenforschung eingerichtet.

Insgesamt hat der Europäische Forschungsrat die Vergabe von 494 Starting Grants an talentierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ganz Europa bekannt gegeben. Deutschland ist EU-weit mit 98 Starting Grants Spitzenreiter, die Niederlande erhielten 51, das Vereinigte Königreich 50 und Frankreich 49 der renommierten Projektförderungen.

Mit den Starting Grants fördert der ERC exzellente Forschende im Zeitfenster von zwei bis sieben Jahre nach der Promotion. Die Ausschreibung umfasst eine Rekordsumme von rund 780 Millionen. Damit unterstützt der ERC Spitzenforschung europaweit in einer Vielzahl von Bereichen, von den Biowissenschaften und der Physik bis hin zu den Sozial- und Geisteswissenschaften. Ein Starting Grant ermöglicht den Forschenden am Beginn ihrer wissenschaftlichen Laufbahn, das eigene Projekte mit einem Team aufzubauen und vielversprechende Ideen zu verfolgen.

Die Empfänger der Starting Grants und ihre Projekte im Einzelnen:

Professorin Georgia Chalvatzaki, Ph.D., Technische Universität Darmstadt

Die Informatik-Professorin widmet sich mit ihrem Projekt „SIREN“ („Structured Interactive Perception and Learning for Holistic Robotic Embodied Intelligence“) der Entwicklung von „verkörperter Intelligenz“. Sie forscht an integrierten Software-Architekturen, die Robotern ermöglichen, in unstrukturierten Umgebungen komplexe Aufgaben zu übernehmen. „SIREN“ untersucht Prinzipien und Strukturen, die die Interaktion und Entwicklung von Robotern mit ihrer Umgebung steuern. Ziel ist eine ganzheitliche Sichtweise, bei der Roboter und Umgebung als integriertes System betrachtet werden. Die Ergebnisse von „SIREN“ könnten wegweisend für zukünftige, lernfähige Robotersysteme sein.

Professor Dr. Justus Thies, Technische Universität Darmstadt

In der Informatik befasst sich Professor Thies mit seinem Projekt „Learning Digital Hu-mans in Motion“ mit der Entwicklung von Bildverarbeitung und Grafik, die lebensechte digitale Abbilder von Menschen für die digitale Welt ermöglicht. Diese digitalen 3D-Doppelgänger können für Anwendungen in virtueller und erweiterter Realität genutzt werden. Dazu gehören zum Beispiel virtuelle Spiegel im E-Commerce und Computerspiele. Thies’ Team erforscht, wie sich Menschen bewegen und entwickelt Bewegungssynthesemethoden. Es geht der Frage nach, ob sich natürliche Sprache zur Darstellung digitaler Menschen nutzen lässt. Ziel der Forschung ist eine qualitativ hochwertige Wiedergabe von Aussehen und Bewegung.

Dr. Pelin Tozman, Technische Universität Darmstadt

Im Projekt „MAG-TOOL“ forscht die Materialwissenschaftlerin Dr. Pelin Tozman an ressourcenschonenden, sicheren und bezahlbaren Dauermagneten. Dazu untersucht sie alternative Inhaltsstoffe zu schweren Seltenen Erden, die bislang in Dauermagneten verwendet werden, deren Abbau jedoch problematisch für die Umwelt ist. Die innovative Materialbearbeitung kombiniert Tozman mit maschinellem Lernen, was ihr Forschungsprojekt einzigartig macht. Dauermagneten sind von zentraler Bedeutung für grüne Technologien, sie sind unter anderem in Elektrofahrzeugen und Windturbinen im Einsatz.

Dr. Alexander Tichai, Technische Universität Darmstadt

Die Kernphysik bildet eine wichtige Grundlage für unser derzeitiges Verständnis des Universums. Ein genaues Verständnis der vielfältigen Kernphänomene und ihrer Ent-stehung aus der Wechselwirkung zwischen Neutronen und Protonen, wirkt sich auf viele Bereiche der modernen Physik aus. Trotz enormer Fortschritte in den letzten Jahrzehnten fehlt es noch immer an einer vollständig kontrollierten Beschreibung der Kerne über die gesamte Nuklidkarte. Mit seinem Forschungsprojekt „DeformedNuclei – Ab initio Beschreibung von deformierten Kernen“ versucht Dr. Alexander Tichai vom Institut für Kernphysik der TU Darmstadt das zu ändern. Er entwickelt neue Methoden, um deformierte Kerne gezielt zu untersuchen und die Auswirkungen der Wechselwirkungsmodelle auf die vorhergesagten Kerneigenschaften zu analysieren.

Professor Dr. Eric Helfrich, Goethe-Universität Frankfurt

Das ERC-Projekt „COMBINE“ („Bacterial Alkaloid Biosynthesis off the Beaten Path: Compartmentalization and Non-Enzymatic Transformations in Non-Canonical Alkaloid Bio-synthesis“) befasst sich damit, wie Bakterien komplexe Biomoleküle herstellen, die die Basis vieler Medikamente sind. Diese sogenannten Naturstoffe werden durch vielstufige enzymatische Prozesse hergestellt. Das Team von Eric Helfrich entwickelt auf künstlicher Intelligenz-basierende indirekte Verfahren, um spontane Reaktionen vorherzusagen und die assoziierten neuartigen Naturstoffe zu charakterisieren. Professor Helfrich hat bereits als Principal Investigator im LOEWE-Zentrum „TBG - Translationale Biodiversitätsgenomik“ eine siebenjährige Förderung erhalten, die noch bis Ende dieses Jahres läuft.

Dr. Julia Kurth, Philipps-Universität Marburg

Die Mikrobiologin Dr. Julia Kurth forscht mit ihrem Projekt „ARCHAEBOLIC” („Unraveling novel Archaeal Metabolic Pathways impacting Greenhouse Gas Emissions”) zu der Frage, welche bislang übersehenen oder auch versteckten Substanzen zur Bildung der Treibhausgase Methan und CO2 führen. Hierzu identifiziert und charakterisiert die Forscherin die Enzymsysteme, die diese Substanzen umwandeln, prüft, welche Mikroorganismen diese Enzymsysteme besitzen und untersucht deren Stoffwechsel. Zudem erforscht die Nachwuchsgruppe, in welchen Ökosystemen diese Prozesse ablaufen und welche mikrobiellen Netzwerke beteiligt sind. Es können zum Beispiel auch Holzverbindungen eine Rolle bei der mikrobiellen Methanproduktion spielen.

Dr. Judith Klatt, Philipps-Universität Marburg

Die Mikrobiologin Dr. Judith Klatt widmet sich in dem Projekt „RETRO-PUMP” (“Reconstruction of global redox transitions based on an evolving Precambrian biological carbon pump”) der Frage nach der Herkunft des Sauerstoffs. Im Zentrum der Forschungsarbeit steht der Zusammenhang zwischen dem Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), mikrobiellen Prozessen wie Photosynthese und dem Anstieg des Luftsauerstoffs. Das erste Leben in Form von Mikroorganismen entwickelte sich in der Abwesenheit von Sauerstoff. Seitdem haben diese winzigen Lebewesen in den Ozeanen über geologische Zeiträume hinweg unsere Atmosphäre mit rund 21 Prozent Luftsauerstoff angereichert. Die Suche nach den mikrobiellen und geochemischen Mechanismen in den frühen Ozeanen, die über eine Regulation des Sauerstoffgehalts die Evolution von komplexen Organismen ermöglichte, ist Gegenstand der Forschung; dazu simuliert Dr. Klatt die Prozesse in frühen Ozeanen im Labor.

Dr. Mareike Grotheer, Philipps-Universität Marburg

Die Neurowissenschaftlerin Dr. Mareike Grotheer erforscht mit ihrem Projekt „WRAPPED” (“Wrap It Up: Deciphering experience-dependent myelin growth across development”) den Zusammenhang von Lernen und den Eigenschaften des sich entwickelnden Gehirns. In vielen Lernprozessen spielt die Substanz Myelin im Gehirn eine wichtige Rolle. Sie umhüllt die Verbindungen zwischen Gehirnzellen (Neuronen) und ist entscheidend für das plastische Verhalten des Gehirns. Mit neuesten Verfahren wie der Magnetresonanztomografie (MRT, englisch: MRI) arbeitet die For-schergruppe daran herauszufinden, wie das Myelin Lern- und Reifungsprozesse im Gehirn beeinflusst. Dazu werden die Forschenden um Dr. Grotheer Erwachsene untersuchen und auch Kinder, die beispielsweise Jonglieren oder eine neue Sprache lernen.

Dr. Zewei Xiong, GSI, Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung GmbH

Herr Dr. Xiongs ERC-Starting Grant konzentriert sich auf die Neutrinophysik und die nukleare Astrophysik und deckt Themen im Zusammenhang mit der Entwicklung und Nukleosynthese in Supernovae und Neutronensternverschmelzungen ab. Das Projekt „NeuTrAE „(„Neutrino flavor Transformations in dense Astrophysical Environments”) zielt darauf ab, unser Verständnis der noch ungelösten Fragen zur Flavor-Entwicklung von Neutrinos und ihrer Bedeutung für die Teilchenpyhsik und die nukleare Astrophysik zu verbessern. Extreme astrophysikalische Ereignisse wie Supernovae mit Kernkollaps und die gewaltige Verschmelzung zweier Neutronensterne oder eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch sind reichhaltige Quellen von Neutrinos.

Dr. Vanessa Stempel, Max-Planck-Institut für Hirnforschung

Die Forschungsgruppenleiterin widmet sich mit ihrem Projekt instinktiven Verhaltensweisen wie Verteidigung, Fütterung, Aggression und Versorgung des Nachwuchses, die sich im gesamten Tierreich entwickelt haben, um das Überleben zu sichern, ohne dass dafür Lernen erforderlich ist. „CoreInstincts“ („Brainstem circuits supporting adaptive instinctive behaviours”) erforscht diese überlebenswichtigen Strategien - wie Jagen, Flüchten und Paaren - mit denen Tiere geboren werden und für deren Ausführung sie wenig oder gar keine Erfahrung benötigen. Um zu verstehen, wie diese Verhaltensflexibilität funktioniert, ist es wichtig, die spezifischen Gehirnschaltungen zu untersuchen, die daran beteiligt sind, mit besonderem Augenmerk auf Synapsen (die Verbindungen zwischen Nervenzellen) und zelluläre Prozesse. Der ERC Starting Grant wird es den Forschenden ermöglichen, die Produktion von Instinktverhalten bei der Hausmaus - einer Überlebensspezialistin - zu untersuchen.

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