Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur

Gründliche Aufklärung ist nötig, damit die documenta weltweit herausragend bleibt

Antisemitische Bildsprache hätte nicht gezeigt werden dürfen – nun müssen Verbesserungen für die Zukunft folgen

Aus Sicht der hessischen Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn war das Zeigen antisemitischer Bildsprache auf der documenta fifteen eine klare Grenzüberschreitung, die so nicht hätte passieren dürfen. „Wir brauchen daher eine ehrliche Analyse: Wie und warum konnte es dazu kommen, dass diese Motive ausgestellt wurden?“, sagte die Ministerin am Donnerstag im Kulturausschuss des Hessischen Landtages, der in Kassel tagte. „Ich habe gespürt, dass man sich mit dem Bemühen um eine ehrliche Analyse vor Ort nicht nur beliebt macht. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass wir eine Verantwortung dazu haben, auch und gerade im Interesse der documenta selbst. Als stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der documenta gGmbH bemühe ich mich um Einigkeit unter den Gesellschaftern, dass wir Aufklärung und Konsequenzen brauchen, um die documenta als herausragende, weltweit bedeutende Kulturmarke zu stärken.“

Fragenkatalog an Schormann

„An dieser Aufklärung arbeiten wir: Ich habe vor knapp zwei Wochen einen Fragenkatalog an die Generaldirektorin Frau Dr. Schormann dem Aufsichtsratsvorsitzenden geschickt. Zur gemeinsamen Bewertung haben wir als Landesseite eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung beantragt, bei der wir uns kommende Woche mit den Antworten und dem weiteren Umgang mit der Situation befassen. Fehler müssen benannt und Verantwortlichkeiten geklärt werden, um daraus Schlussfolgerungen ziehen zu können für die Zukunft.“

„Im Vorfeld der documenta haben die künstlerische Leitung und die Generaldirektorin wiederholt versichert, dass keine antisemitischen Werke ausgestellt werden. Darauf musste sich die Landesregierung verlassen, denn es ist die Aufgabe der künstlerischen Leitung, im Sinne eines verantwortungsvollen Kuratierens genau das sicherzustellen“, erläuterte Ministerin Dorn. „Das Abhängen des dann entdeckten Bildes war ein wichtiger und notwendiger Schritt, bei dem die Generaldirektorin unsere volle Unterstützung hatte. Die problematische Erklärung des Kollektivs Taring Padi, die das vor seiner Entfernung kurzzeitig verdeckte Banner als ,Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs‘ bezeichnete, zeigt die unzureichende Sensibilisierung beim Thema Antisemitismus. Die Entschuldigung der künstlerischen Leitung ruangrupa war wichtig, kam aber spät. Insgesamt ist zu konstatieren, dass trotz der Debatten im Vorfeld die Sensibilisierung und Krisenvorsorge insbesondere beim künstlerischen Team, aber auch der documenta gGmbH nicht ausreichend war.“

Verantwortliche aufgefordert, Vorwürfen nachzugehen

„Als im Januar bekannt wurde, dass sich einzelne Künstlerinnen und Künstler sowie Kuratoren dem BDS-Aufruf angeschlossen hatten, haben wir die documenta-Verantwortlichen aufgefordert, den Vorwürfen intensiv nachzugehen. Um die künstlerische Leitung und die Kollektive zum Thema Antisemitismus zu sensibilisieren, habe ich gemeinsam mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth für eine Kommission zur externen Beratung der documenta zum Thema Antisemitismus plädiert. Der Aufsichtsratsvorsitzende und Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle lehnte dies als Eingriff in die künstlerische Freiheit ab. Später, aber noch vor Eröffnung der documenta habe ich der Generaldirektorin empfohlen, eine Task Force zu bilden, um sich im Falle einer krisenhaften Situation durch Antisemitismusexperten kurzfristig beraten lassen zu können. Der Vorschlag wurde leider nicht aufgegriffen. Ich habe darüber hinaus auch vor der offiziellen Eröffnung mit Vertretern von ruangrupa gesprochen und versucht, für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren.“

Für neue Strukturen der documenta gGmbH

„Aus meiner Sicht ist es neben der ehrlichen Analyse wichtig zu verhindern, dass weitere antisemitische Bildsprache zu sehen ist, und Kontextualisierungen bei Kunstwerken zu stärken. Ich unterstütze die Bildung eines Expertengremiums, das auch die weiteren Kunstwerke auf der documenta auf antisemitische Bildsprache analysieren soll. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil dafür, wieder Vertrauen in die documenta zu schaffen, ist Kommunikation. Seit der Absage der geplanten Diskussionsforen ,We need to talk!‘ führe ich daher zahlreiche Gespräche, insbesondere mit der jüdischen Gemeinschaft und jüdischen Intellektuellen.“

„Und schließlich müssen wir darüber nachdenken, welche Strukturen die documenta zukünftig braucht. Ich unterstütze daher die Vorschläge von Claudia Roth für neue Strukturen der documenta gGmbH, über die auch bereits ein Austausch stattgefunden hat. Es gab bereits nach den finanziellen Problemen der 14. documenta Einigkeit unter den Gesellschaftern, zusätzlich zu Vertreterinnen und Vertretern aus der Stadt und dem Land auch bundesweite und internationale Expertise in den Aufsichtsrat einzubeziehen. Die Rolle der documenta als eine der weltweit bedeutendsten Kunstausstellungen muss sich im Aufsichtsrat widerspiegeln.“

Documenta war Abbild ihrer Zeit

„Die documenta war als bahnbrechende Kunstausstellung immer ein Abbild ihrer Zeit. Mitunter gehört es auch dazu, Zumutungen auszuhalten, die teilweise aber kontextualisiert werden müssen. Und Zumutungen in der Kunst haben Grenzen. Wo die Grenzen dieser Zumutung liegen, haben viele, darunter auch ich, sehr früh deutlich gemacht. Das Zeigen der antisemitischen Motive hat diese Grenze brutal überschritten. Es ist mir wichtig deutlich zu machen, dass Kunstfreiheit dort endet, wo die Menschenwürde massiv verletzt wird. Das ist hier eindeutig der Fall gewesen. Wir brauchen als Gesellschaft einen großen Vertrauensvorschuss an Freiheit, um die Kunstfreiheit zu wahren. Auf der anderen Seite brauchen wir aber auch in der Kunst ein Verständnis, welche Verantwortung diese Errungenschaft bedeutet. Gerade weil ich für die Kunstfreiheit kämpfe, erlebe ich aktuell so schmerzlich, was es bedeutet, wenn dieser Vertrauensvorschuss – den es immer geben muss – einmal scheitert. Das ist aber eine Situation, an der wir wachsen können. Denn ich will, dass die documenta in Kassel auch weiterhin die Menschen mit zeitgenössischer Kunst fasziniert. Das tut auch diese documenta fifteen. Ich lade alle ein, nach Kassel zu kommen und sich selbst ein Bild zu machen.“

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