Das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes ist um sechs Einträge reicher: Neben der nordhessischen Schwälmer Weißstickerei dürfen sich auch die Technokultur in Berlin, der Kirchseeoner Perchtenlauf, die Finsterwalder Sangestradition, das Bergsteigen in Sachsen und Viez - Herstellung, Konsum und Bräuche rund um regionaltypische Weine aus Äpfeln, Birnen und Quitte – zu den besonderen Kulturformen zählen. Die Deutsche UNESCO-Kommission und das Hessische Ministerium haben heute die Neuzugänge bei einem Festakt im Biebricher Schloss gewürdigt.
„Kultur ist nicht nur in Museen und Theatern zu finden, Kultur ist eben auch ein reicher Schatz an Erfahrungswissen, den man mit anderen teilt, ihn pflegt, weitergibt und gemeinsam zelebriert! Immaterielles Kulturerbe zu sein bedeutet, engagiert zu sein und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen, Traditionen zu pflegen oder auch neu zu schaffen“, so Kunst- und Kulturminister Timon Gremmels. „Ich freue mich nicht nur, dass wir heute die Aufnahme von sechs kulturellen Praktiken in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes feiern, welches mit ihnen auf insgesamt 150 Einträge wächst. Es begeistert mich ganz besonders, dass sich mit der Schwälmer Weißstickerei unter den Neuaufnahmen auch ein Kunsthandwerk aus meiner nordhessischen Heimat findet. So erlebe ich selbst, was das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes bewirken kann. Es würdigt kreative und inklusive Kulturformen, die Menschen zusammenbringen und mit denen sich Menschen identifizieren können. Sei es wegen persönlicher Erfahrungen mit der kulturellen Praktik oder wegen eines regionalen Bezugs, in dem die ausgezeichnete Kulturform steht.“
UNESCO-Welterbe
Was ist die Schwälmer Weißstickerei?
Die Schwälmer Weißstickerei verdankt ihren Namen der zwischen Kassel im Norden, Marburg im Südwesten und Bad Hersfeld im Osten gelegen Landschaft Schwalm. Sie entwickelte sich etwa Anfang des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf ein berühmtes sächsisches Vorbild: Die hauchzarte gestickte Dresdner Spitze, die der Aristokratie zugänglich war, faszinierte die Landfrauen so sehr, dass sie kreative Wege fanden, eine ähnliche Spitze zu fertigen. Dafür nutzten sie das Material, das sie hatten – groben Leinenstoff – und verwendeten wie beim Dresdner Vorbild eine Vielzahl an Stichen aus mehreren technisch anspruchsvollen Grundtechniken. Diese von Anfang ausgeübte Diversität macht die Schwälmer Weißstickerei zu einer einzigartigen, besonders variantenreichen Technik. Bis heute ist es nicht möglich, eine vergleichbare Spitze maschinell herzustellen.
Mit der Schwälmer Weißstickerei gibt es nun drei Einträge mit direktem hessischem Bezug im Bundesweiten Verzeichnis für Immaterielles Kulturerbe: Der Hessische Kratzputz steht seit 2016 auf der Liste, 2022 kam die Apfelweinkultur dazu. Beim Immateriellen Kulturerbe steht der Mensch im Mittelpunkt: Seine Bräuche, Künste, Feste und Handwerkstechniken sind kulturelle Ausdrucksformen. Das UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes von 2003 will dieses Erbe, seine Vielfalt und Kreativität bewahren und den gegenseitigen Respekt der Menschen vor ihren Kulturen stärken. Die Aufnahme ist mit einem mehrstufigen Verfahren verbunden. Erst, wenn ein regionaler Brauch oder ein besonderes Können im Bundesweiten Verzeichnis für Immaterielles Kulturerbe eingetragen sind, haben sie eine Chance darauf, auch in die weltweiten Listen aufgenommen zu werden.