Wiesbaden. Künstlerinnen und kulturschaffende Frauen fördern und in den Fokus zu rücken: Das ist das Ziel des neuen Ottilie-Roederstein-Stipendiums des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, das im September erstmals ausgeschrieben wurde. Insgesamt 134 Künstlerinnen aller Sparten haben sich in drei Kategorien beworben, neun wurden von einer Jury ausgewählt. Heute hat Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn in einer coronakonformen kleinen Feierstunde die Stipendien im Wert von insgesamt 240.000 Euro übergeben.
„Mehr als die Hälfte der Studierenden an den hessischen Kunsthochschulen sind Frauen – aber trotzdem sind professionelle Künstlerinnen in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit immer noch zu wenig präsent“, erklärt Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn. „Dabei brauchen Kunst und Kultur alle klugen und kreativen Köpfe, um unsere Gesellschaft zu bereichern und voranzubringen – erst recht den weiblichen Blick. Das wollen wir mit den Ottilie-Roederstein-Stipendien unterstützen. Die Resonanz auf unsere erste Ausschreibung war groß, die Auswahl vielfältig – sowohl was die Sparten angeht als auch die Themen. Gemeinsam mit der Jury haben wir zwei Hauptstipendiatinnen, drei Nachwuchsstipendiatinnen und vier Arbeitsstipendiatinnen mit großem Potential ausgewählt, die ihre Projekte im kommenden Jahr erarbeiten und realisieren können. Ich gratuliere den Stipendiatinnen zu ihrem Erfolg und bedanke mich herzlich bei den Mitgliedern der Jury.“
Geschichts-Skulptur und Choreografie gegen Rassismus
Die beiden Hauptstipendien gehen an die Berliner bildende Künstlerin, Bildhauerin und Städelschul-Absolventin Maria Loboda sowie an die Frankfurter Choreographin und Performancekünstlerin Joana Tischkau. Beide Hauptstipendien sind mit 40.000 Euro dotiert, zuzüglich bis zu 30.000 Euro Projektmittel für die Umsetzung des Vorhabens.
Maria Loboda bekommt das Stipendium für ihr Projekt „Hessisches Plastiglomerat“. Sie plant eine temporäre Skulptur in Frankfurt, die auf Recherchen über in Hessen neu aufgetauchte Gesteinsformen und Geologien fußt. Die Skulptur wird aus Materialien der Region, von Naturstein bis zu Plastikmüll, in Form eines Brunnens von der Künstlerin entwickelt und 2022 im öffentlichen Raum ausgestellt. Mit dem Hauptstipendium würdigt die Jury eine Künstlerin, die mit ihrer Ästhetik den Diskurs um Archäologie, Geschichtserzählung und Kritik gegenüber vorgegebenen Strukturen zum Ausdruck bringt. Joana Tischkau, Absolventin des Masterprogramms „Choreographie und Performance“ der Justus-Liebig-Universität Gießen, diskutiert Themen wie Rassismus, schwarze deutsche Identität oder Feminismus mit sub- und populärkulturellen, theatralen und choreographischen Formen – analytisch scharf, aktivistisch und dennoch mit unterhaltsamer Leichtigkeit. Die Jury zeigt sich überzeugt von Tischkaus künstlerischer Sensibilität und Kompetenz beim Hinterfragen gängiger Darstellungsmuster.
Nachwuchsstipendien für Gesellschaftskritik und Poesie
Eines von drei Ottilie-Roederstein-Nachwuchstipendien geht an die Regisseurin Marie Schwesinger. Sie ist Absolventin des Regiestudiengangs an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt und studiert derzeit im Masterprogramm für Dramaturgie an der Goethe-Universität Frankfurt. In ihrem geförderten Projekt „WERWOLFSKOMMANDO“ setzt sie sich mit rechtem Terror in Deutschland und seiner Aufarbeitung in Gerichtsverfahren künstlerisch auseinander.
Das zweite Nachwuchsstipendium erhält die frühere Städelschülerin Pia Ferm. Sie ist Bildhauerin aus Frankfurt, arbeitet unter anderem mit Textilen und Schnitzwerk und verbindet ihre künstlerischen Mittel mit gesellschaftsrelevanten Fragestellungen. Mit dem Nachwuchsstipendium widmet sie sich der Marmorbearbeitung.
Das dritte Nachwuchsstipendium bekommt die ukrainische Musikethnologin, Instrumental- und Gesangspädagogin Olga Zaitseva-Herz aus Hünfelden. In ihrem Projektvorhaben „Die Musik in Goethe“ widmet sie sich als Komponistin, Sängerin, Instrumentalistin und Performerin der klanglichen Poesie von Goethes Gedichtzyklus „Die römischen Elegien“. Dafür kombiniert sie den Umgang mit Stimme, folkloristische Gesangstechniken und verschiedene Musikrichtungen mit klassischer deutscher Poesie.
Die drei Nachwuchsstipendien sind mit jeweils 10.000 Euro dotiert, hinzu kommen bis zu 30.000 Euro Projektmittel für die Umsetzung des Vorhabens.
Künstlerinnen im Fokus
Mit vier Arbeitsstipendien werden Künstlerinnen ausgezeichnet, die aufgrund der Betreuung eines Kindes oder der Pflege eines nahen Angehörigen erschwerte Arbeitsbedingungen haben und sich dennoch weiter ihrer nachgewiesenen seriösen künstlerischen Tätigkeit widmen möchten. Die Dotierung des Arbeitsstipendiums beträgt jeweils 4.000 Euro. Die Arbeitsstipendien erhalten Sina Ahlers (Darstellende Kunst, Frankfurt), Annika van Vugt (spartenübergreifend, Siegbach), Irene Hardjanegara (Bildende Kunst, Frankfurt) und Patscharaporn Krüger-Distakul (Darstellende Kunst, Offenbach).
Das war die Jury
In der Jury saßen Ministerin Angela Dorn, zwei Vertreterinnen des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, Eva-Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung, Prof. Monica Bonvicini, Künstlerin und Professorin für Bildhauerei an der Universität der Künste Berlin, Carola Reul, Geschäftsführerin der Jungen Deutschen Philharmonie, und Dr. Philipp Schulte, Geschäftsführer der Hessischen Theaterakademie.