Impulspapier zur künftigen Forschungsförderung der EU

F&I-Politik vereinfachen und EU-Forschungsförderung entbürokratisieren – hin zu einem ambitionierten EU-Programm für Forschung und Innovation

Auf europäischer Ebene werden aktuell die Weichen für die künftige Forschungsförderung der EU („FP10“) gestellt. Von der EU-Kommission werden hierfür bis Juli 2025 Gesetzesvorschläge erwartet. Die hessische Forschungscommunity erhofft sich ein sehr ambitioniertes eigenständiges Budget für die EU-Forschungsförderung unter Fortführung eines eigenen Forschungsrahmenprogramms. Vom aktuellen EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizont Europa profitieren hessische Hochschulen und Forschungsinstitute mit ihrer proeuropäischen und internationalen Ausrichtung sehr. Die EU-Forschungsförderung in all ihren Facetten bietet sehr wichtige Impulse für unsere hessische Forschungslandschaft und belebt internationale Kooperationen. Nicht zuletzt die MSCA-Mobilitätsförderung, die ERC-Spitzenforschung des Europäischen Forschungsrates und die Verbundforschung („zweite Säule“) sind sehr wichtige Elemente für unsere hessische Forschungslandschaft und tragen dazu bei, unsere Forschungsstärken auszubauen und zu festigen.

Doch im Zuge der aktuellen Reformbemühungen in Brüssel sollte aus hessischer Sicht auch ein besonderes Augenmerk auf Maßnahmen zur Vereinfachung und der Entbürokratisierung gelegt werden. Die EU-Kommission sollte bei ihrem übergeordneten Ziel, administrative Vereinfachungen in der EU-Gesetzgebung zu erreichen, den Bereich Forschung und Innovation (F&I) besonders berücksichtigen. Der Zeitpunkt für Vereinfachungen könnte besser nicht sein. Kluge Weichenstellungen können gerade jetzt besondere Chancen bieten. Denn die neue Forschungsförderung, die aktuell in Brüssel vorbereitet wird, soll voraussichtlich für ganze sieben Jahre gelten (2028-2035).

Doch so wichtig und vielversprechend die EU-Förderung für unsere Forschenden ist, so groß sind auch administrative Hürden und bürokratische Hindernisse, die oftmals spannenden und innovativen Projekten mit hessischer Beteiligung im Wege stehen. In der Vergangenheit sind mehrere höchst innovative Projektideen mit hohem Potenzial bedauerlicherweise nicht bis zum Stadium der Antragstellung gelangt. Mehrfach waren bürokratische Hürden zu groß und der Aufwand hinderte Projektteams, ihre Anträge einzureichen. Neue Antragstellende, die die Kommission zu einer Projektbewerbung in Horizont Europa unbedingt erreichen möchte, werden wegen dieser Hürden vielfach abgeschreckt.

Ziel ist es aus hessischer Sicht daher, das thematisch interessante Spektrum an EU-Förderchancen zu bewahren und zugleich an verschiedensten Stellen deutlich zu simplifizieren. Es gilt, die bewährten Förderlinien des in der Forschungscommunity sehr populären Programms Horizont Europa künftig abzusichern und das F&I-Budget deutlich zu steigern – und gleichzeitig das „administrative Dickicht“ zu lichten.

Das Ziel sollte sein, dass sich Forschende primär auf ihre innovativen Forschungsideen konzentrieren können und von administrativen Maßnahmen entlastet werden. Der Weg zur Projektanbahnung soll hierdurch beschleunigt werden. Gut durchdachte Simplifizierungen bieten Potenziale sowohl für Antragstellende als auch für die EU-Verwaltung als antragsbearbeitende Stelle.

Das Ziel der Vereinfachung bedeutet ausdrücklich nicht, dass am Charakter der Exzellenzorientierung der Forschungsförderung und deren wettbewerblicher Vergabepraxis gerüttelt werden sollte. Aus Simplifizierungen sollten sich vielmehr auch für die EU-Kommission Vorteile ergeben, nicht zuletzt, um im Interesse der Steuerzahlerinnen und -zahler die Gelder stark für F&I-Projekte zu nutzen und für schlanke Administration einzusetzen. Zugleich dürfen Simplifizierungen nicht darauf hinauslaufen, die Antragstellung nur für bestimmte Typen von Institutionen zu erleichtern. Gerade auch die Bedarfe der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften müssen dabei adressiert werden. Die Antragstellung und Verbundkoordination von EU-Forschungsprojekten muss auch für Akteure realisierbar sein, die nicht über besonders große Administrations-Abteilungen verfügen.

Innovation entsteht vielfach an Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, in Projektteams, die vor Ort mit starker Motivation für unsere Gesellschaft Großes leisten möchten, und engagiert z.B. auf technologische oder medizinische Durchbrüche hinarbeiten. Es handelt sich um Akteure, die sich durch eine hohe Schnelligkeit in der Anbahnung von Forschungsprojekten auszeichnen und damit auch den state of the art definieren. Hessen tritt dafür ein, dass all unsere Innovationsakteure durch mehr Klarheit des EU-Gesetzesrahmens und durch vereinfachte und wo möglich auch beschleunigte Antragsverfahren ertüchtigt werden. Für Antragstellende ist es letztlich nicht entscheidend, in welcher Förderlinie der EU vielversprechende Ausschreibungen verortet sind – für sie zählen vielmehr Planbarkeit, Realisierbarkeit, Passgenauigkeit und Attraktivität des jeweiligen Fördercalls.

Im Einzelnen:

Die Kommission sollte daher Synergien und Anknüpfungspunkte für Projekte zwischen den verschiedenen verwandten Programmen schaffen und „Pathways“ aufzeigen. Chancen für Verknüpfungen und Projektfortführungen oder sich ergänzende thematische Anträge können sich z.B. bei hochschulrelevanten Projekten unter Horizont Europa, Erasmus+ und dem Programm Digitales Europa ergeben.

Insgesamt sollte die Kommission verschiedene ähnliche Förderlinien im Forschungsbereich zusammenfassen und Synergien schmieden, um Doppelungen zu vermeiden und das Budget mit maximalem Effekt nutzen. Hierdurch kann stark entbürokratisiert werden. Die Überlegungen der Kommission zur Schaffung eines einheitlichen EU-Fonds für Wettbewerbsfähigkeit dürfen jedoch keinen Anlass bieten, im Forschungsbereich den Rotstift anzusetzen und Gelder in F&I-fremde Politikbereiche zu verschieben. Europas Zukunft ist von starker Forschung und Innovation abhängig.

In der dritten Säule von Horizont Europa bestehen sehr eng verwandte Förderlinien, zu denen die Kommission eigene Verwaltungsstrukturen aufrechterhält (EIC und EIT). Diese Doppelungen sollten allein schon aus Kostengründen vermieden werden. Eine Zusammenlegung von EIC und EIT ist klar angeraten.

Es bestehen zudem in der zweiten Säule von Horizont Europa relevante Partnerschaften im Gesundheitsbereich, die aber thematisch sehr eng verwandte Themen verfolgen (etwa im Bereich der Gesundheitsforschung). Hier sollten Synergien ermöglicht werden.

Wichtig wäre es, insgesamt die Berichtspflichten (Reporting) für Antragstellende zu vereinfachen. Ein Intervall von 18 Monaten erscheint ausreichend und geeignet, um der Rechenschaftspflicht nachzukommen. Der Mehrwert der aktuell hohen Berichtspflichten ist fraglich. Die Kommission und ihre Agenturen könnten zudem gewiss auch verstärkt auf KI-Instrumente bei der Bearbeitung und Sichtung der Projektergebnisse zurückgreifen.

Das Reporting Tool der EU-Agentur REA (für MSCA-Projekte der Mobilitätsförderung) wird selbst bei Koordinatorinnen und Projektmanagern mit langjähriger Erfahrung als immer komplexer werdend beurteilt. Insbesondere die kleinteilige Aufschlüsselung für die diversen Berichtspunkte ist problematisch und könnte gewiss auch durch KI-Systeme erleichtert werden (z.B. Zuweisung eines Eintrages zu Kategorie und Rubrik).

Zudem sollte insbesondere auch bei Partnerschaften, die (z.B. national) ko-finanziert werden, das Reporting vereinheitlicht werden (bzgl. Abrechnungen und Berichtsperioden).

Aktuell ist die Kalkulation der Personalkosten v.a. in der Förderlinie ERC sehr aufwändig. ERC geförderte Grantees sind hoch ausgezeichnete Wissenschaftler, müssen aber derzeit Zeitzettel führen, um ihr Engagement nachzuweisen. Hier könnten unterschriebene Erklärungen ausreichen.

In der Verbundforschung sollte die Kommission, anders als derzeit angedacht, nicht primär auf großvolumige Projekte abzielen, sondern auch kleinere und mittelgrößere Volumina ermöglichen. Ansonsten droht dies „Neulinge“ bei der EU-Antragstellung abzuschrecken (v.a. für die Koordinierung) und dies könnte zudem Budgets zu stark für einzelne Themen binden. Gerade auch kleinere und mittelgroße Projekte stehen für Agilität und Commitment und können Innovationen stark befördern.

Die Kommission sollte Arbeitsprogramme und deren Lesbarkeit deutlich vereinfachen. Die Texte v.a. im Bereich der Verbundforschung (zweite Säule) bieten den inhaltlichen Rahmen für Anträge, doch variieren sie stark in Detailgrad und Priorisierung der F&I-Aspekte. Die Themen und Ausschreibungen sollten künftig noch klarer formuliert sein.

Sinnvoll wäre es auch, dass die Kommission fest wiederkehrende Fristen (z.B. monatlich oder per Quartal) für jegliche Antragstellungen in EU-Programmen vorsieht. Aktuell bestehen unterschiedlichste Deadlines quer über Förderlinien und EU-Generaldirektionen hinweg.

Simplifizierung für Begünstigte: die Kommission könnte durch die Bereitstellung von standardisierten EU-Mustervorschlägen für Konsortialverträge (CAs) in Horizont Europa die Projektanbahnung für EU-Geförderte deutlich beschleunigen. Hier wären passgenaue Anpassungs-/Ergänzungsmöglichkeiten in den Mustern sinnvoll, je nach Beteiligung von Industriepartnern, KMU oder beiden.

Weitere Guidance-Dokumente, die Antragstellende und Beratungseinrichtungen unterstützen, wären sehr hilfreich und gewünscht (z.B. das AGA, Annotated Grant Agreement, oder auch der Synergie-Leitfaden). Doch sollten diese anders als in der Vergangenheit bereits zum Programmstart vorliegen und möglichst klar und treffsicher formuliert sein.

Bei der etwaigen nötigen Anpassung der Parameter laufender Projekte (z.B. bei Wechsel von Partnern) sollten Modifikationen künftig möglichst vereinfacht werden, um zeitintensive Prozesse zu vermeiden. Denkbar wäre es, stärker das Instrument von ‚Adjustments‘ statt von ‚Amendments‘ zu nutzen.

Für die Antragstellung ist ein verbessertes F&T-Portal von zentraler Bedeutung. V.a. die Benutzeroberfläche sollte überarbeitet werden. Das gilt für die Antragstellung und das Berichtswesen. So sind z.B. mehrere Schritte notwendig, um alle Komponenten der Berichte zu integrieren. Ebenso ist das Partnersuchtool nicht immer wirksam, weil es zentrale Ansprechpartner adressiert (LEAR) und die Forschenden nicht direkt erreicht.

Für Förderberaterinnen und –berater sowie für Forschende ist die Interaktion mit der EU-Kommission bei Anträgen wichtig, etwa bei inhaltlichen Fragen. Diese sollte künftig ermöglicht werden. Das bewährte Prinzip des „rebuttal process“, der in der Förderlinie EIC existierte, könnte so auch für weitere Förderlinien eingeführt werden, da dieser es Antragstellenden ermöglicht, auf Rückfragen der Kommission zu reagieren und Unsicherheiten zu Projektskizzen frühzeitig auszuräumen.

Die Kommission sollte künftig unbedingt gewährleisten, dass bei der Auditierung von EU-Projekten das Audit-Fachpersonal hinreichend ausgebildet ist und über Kenntnis der EU-Regularien verfügt. In der Vergangenheit kam es zu großem Zeitverlust auch wegen Unkenntnis nationaler Regelungen seitens der Auditorinnen und Auditoren.

Abschließend ist anzumerken, dass unterschiedliche Ko-Finanzierungssätze überdies administrative Belastungen in den mit der Abwicklung befassten Stellen der Verwaltung schaffen. Einheitliche Finanzierungssätze sollten das Leitziel sein.

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