Minister Gremmels im Gespräch

Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur

"Wissenschaft ist auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe"

Herr Gremmels, Sie haben mit den hessischen Hochschulen den neuen Landeshochschulpakt vereinbart. Während Sie die Planungssicherheit für die nächsten sechs Jahre hervorhoben, erklärten die Präsidien, die Regelungen gefährdeten "die finanzielle Grundsicherheit und Entwicklungsfähigkeit unserer Hochschulen". Wer hatte Recht?

Natürlich hätte ich mir mehr Geld gewünscht, aber die Haushaltslage Hessens ist sehr angespannt, alle Ressorts müssen sparen. Der ganze Landeshaushalt wird ja erst im November eingebracht – dann wird allen klar, dass es auch in anderen Ressorts große Einsparungen geben wird. Mit den Hochschulen war seit Langem vereinbart, dass der Pakt vor dem Sommer auf den Weg gebracht werden musste. Die lange Verhandlungsdauer vor Abschluss des Paktes wurde öffentlich und medial eng begleitet.  Dadurch entstand der Eindruck ich sei der Einzige, der innerhalb der Landesregierung kürzt – dabei trifft es alle. Ja, für 2026 stehen 30 Millionen weniger im Hochschulbereich, aber ab 2027 steigen die Mittel wieder an, sodass wir bis 2031 den zugesagten jährlichen Aufwuchs von vier Prozent erreichen. Wichtig ist: Wir geben den Hochschulen ganze sechs Jahre Planungssicherheit, andere Politikfelder beneiden uns darum. Und wir haben zugesagt: Sollte sich die Konjunktur schneller bessern, sind wir bereit, nachzulegen. Lieber jetzt realistisch und verbindlich, als irgendwann einen bestehenden Pakt zu brechen – das wäre viel schlimmer und der eigentliche Vertrauensverlust.

War das ein Kommentar zur Politik Ihrer Berliner SPD-Parteikollegin Ina Czyborra?

Nein, das war grundsätzlich gemeint. Verträge schaffen wechselseitiges Vertrauen, und ein Hochschulpakt funktioniert nur, wenn er verlässlich ist. Der vorherige Pakt hatte verpflichtende und optionale Komponenten – ohne diese Verbindlichkeit hätte ich die Finanzierung 2025 nicht so absichern können. Genau dieser Mehrwert zählt, und meine Bemerkung bezog sich allein auf Hessen, nicht auf andere Länder.

Hessen hat Anfang 2024 seine Hochschulen per Tarifvertrag verpflichtet, die Zahl unbefristeter Wissenschaftlerstellen bis 2030 um ein gutes Viertel zu erhöhen – als einklagbare Zusage an die Gewerkschaften. Können die Hochschulen das jetzt überhaupt noch schaffen?

Daran halten wir fest. Der Wissenschaftsrat hat im Juli in seinen Empfehlungen zu den Personalstrukturen erneut betont, wie dringend wir im deutschen Wissenschaftssystem mehr Dauerstellen brauchen. Die Hochschulen haben ein eigenes Interesse, kluge Köpfe dauerhaft zu halten. Natürlich ist unsere Zielvorgabe angesichts der aktuellen Haushaltslage ambitioniert, aber es ist doch klar: Der Anteil unbefristeter Stellen muss steigen. Nicht auf 100 Prozent, aber er muss deutlich steigen. Daran ändert auch der neue Hochschulpakt nichts.

Im selben Tarifvertrag hat das Land zugesagt, dass auch alle studentischen Hilfskräfte ein Recht auf mindestens zehn Arbeitsstunden pro Woche haben und ihr Lohn künftig entsprechend der Tarifsteigerungen erhöht wird. Zur Umsetzung haben Sie den Hochschulen damals Ihre "volle Unterstützung" zugesagt. Sehen Sie die noch als erfüllt?

Wir stehen in engem Austausch, und wo die Hochschulen Unterstützung brauchen, leisten wir sie. Die zehn Stunden sind eine Regelvorgabe, die in begründeten Fällen unterschritten werden kann. Das war eine wichtige Forderung der Gewerkschaften, andere noch weitergehende Punkte konnten sie nicht durchsetzen. Entscheidend ist: Wir helfen den Hochschulen im Rahmen des finanziell Möglichen.

"Hessen ist zurück auf der Landkarte der Forschungsexzellenz", haben Sie im Juni im Landtag die beiden Verbundbewerbungen von insgesamt vier hessischen Universitäten bei der Exzellenzstrategie kommentiert. Wenn sich nun aber ausgerechnet im Jahr des Entscheids über diese Bewerbungen, 2026, die Hochschulfinanzierung runtergeht – konterkarieren Sie da nicht die Erfolgsaussichten?

Keineswegs. Die Grundlage bilden die sechs Exzellenzcluster, die hessische Hochschulen dieses Jahr eingeworben haben – ein enormer Fortschritt, wenn man bedenkt, dass wir zuvor nur einen hatten. Für diese Cluster haben wir eine verlässliche landesseitige Finanzierung eingerichtet, ausdrücklich jenseits des Hochschulpakts, also zusätzlich, schon damit nicht alle Hochschulen gleichermaßen dafür aufkommen müssen. Genauso verfahren wir mit den Verbünden, die für ihre Bewerbung beide extra Geld erhalten haben und bei Erfolg weiterhin erhalten werden. Einerseits die Allianz von TU Darmstadt, Goethe-Universität Frankfurt und Universität Mainz, die seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten. Andererseits Marburg und Gießen, Hochschulen, die mit einem starken Konzept antreten. Natürlich haben wir 2026 eine Delle im Haushalt, auch mit Einsparungen im Hochschulbereich. Aber eines darf man in der Gesamtbetrachtung nicht außen vorlassen: Ab 2027 steigen die Mittel bei uns in Hessen wieder, sodass die Hochschulen eine klare Perspektive haben. Genau diese Planungssicherheit ist auch für die Exzellenzstrategie-Gutachter entscheidend: Sie sehen, dass die Landesregierung die Exzellenzförderung langfristig absichert – trotz kurzfristiger Sparrunden.

Sie sprechen von internationaler Sichtbarkeit. Eines der wissenschaftspolitischen Buzz-Themen auch auf europäischer Ebene ist der Technologie- und Wissenstransfer. Wie reagieren Sie darauf?

Unser Ziel als Landesregierung ist, Forschungsergebnisse schneller in Wirtschaft und Gesellschaft zu bringen. Dafür wollen  wir im Wissenschaftsministerium gemeinsam mit Wirtschafts- und Digitalressort eine Landesstrategie erarbeiten, die Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft enger verzahnt und die Wettbewerbsfähigkeit Hessens stärkt. Grundlage sind die erfolgreichen Exzellenzcluster, darauf setzen wir auf. Mir ist wichtig, dass Hessen auch europäisch eine Spitzenposition bei Forschung, Transfer und Gründung einnimmt. Dazu werde ich im September Gespräche in Brüssel führen, auch mit Blick auf die neue EU-Förderperiode. Der Zeithorizont ist die laufende Legislaturperiode – also die kommenden drei Jahre. In diesem Rahmen planen wir die Strategie auf den Weg zu bringen.

Sie sind auch Kulturminister. Manche sagen sogar, Sie seien vor allem Kulturminister und dann noch in erster Linie an dem interessiert, was in Ihrer Heimatstadt Kassel und speziell mit der "documenta" passiert. Was sagen Sie Leuten, die das so sehen?

Ich bin genauso gern Kultur- wie Wissenschaftsminister. Ich habe mit derselben Leidenschaft über den Hochschulpakt verhandelt, wie ich mich um die Herausforderungen bei der documenta oder die Filmförderung kümmere. Dass ich als Kasseler, der mit der documenta aufgewachsen ist, einen besonderen Bezug zu dieser Ausstellung habe, ist klar. Und ich finde es auch nachvollziehbar, dass mir daran besonders lag, die documenta nach dem Antisemitismus-Eklat 2022 in sicheres Fahrwasser zu bringen. Zumal es über das documenta-Institut, das wir in Kassel aufbauen, enge Verbindungen zur Wissenschaft gibt. Kultur und Wissenschaft gehören hier unmittelbar zusammen. Ich bin froh, dass wir mit Naomi Beckwith, als  neue künstlerische documenta-Leitung nun hervorragend aufgestellt sind. Deshalb kann ich über den Vorwurf, ich sei "nur" Kulturminister, eher schmunzeln – er trifft mich nicht.

Wissenschaft und Kultur passen also für Sie gut zusammen?

Vor einigen Jahrzehnten waren Wissenschaft und Hochschulen oft noch Teil der klassischen Kultusministerien. In manchen Bundesländern ist das bis heute so, in anderen – wie in Hessen – wurden Wissenschaft und Kultur zusammengeführt. Ich halte das für fruchtbar: Kultur steht für Kreativität, Wissenschaft für Rationalität und wissenschaftsgeleitete Qualitätssicherung – beides ergänzt sich und befruchtet sich gegenseitig. Dazu kommt eine politische Dimension. Kultur- und Wissenschaftspolitik stehen gleichermaßen im Fokus rechter Angriffe, sei es bei der Denkmalpflege, in der Filmförderung oder an den Hochschulen. Deshalb verstehe ich mein Haus auch als Bollwerk gegen diese Kulturkämpfe. Zum Beispiel haben wir bewusst die Demokratieforschung gestärkt und unmittelbar nach meinem Amtsantritt ein Programm auf den Weg gebracht. Wir investieren hier  die kommenden Jahre 14 Millionen Euro. Mittel, die wir zusätzlich bereitgestellt haben, um die Wissenschaft widerstandsfähiger gegen Angriffe von außen zu machen.

Wir verstehen Wissenschaft nicht nur als Motor wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch als gesellschaftspolitische Aufgabe – etwa mit der Stärkung der Demokratieforschung.

Timon Gremmels Hessischer Wissenschaftsminister

Mit Verlaub: 14 Millionen Euro reichen, um Bollwerk zu sein?

Es geht nicht nur ums Geld. Wir schaffen auch eine Professur für Demokratiegeschichte, wir fördern neue Forschungsschwerpunkte in den Geistes- und Sozialwissenschaften, wir bringen Fachtagungen auf den Weg und vernetzen bestehende Projekte. So entsteht eine breite wissenschaftliche Basis. Mir ist wichtig, an die Wurzeln zu gehen: In der Politik werden Probleme wie Rechtsextremismus oft mit kurzfristigen Maßnahmen bekämpft. Die Wissenschaft kann hier grundlegender arbeiten. Genau deshalb ist dieser Schwerpunkt richtig, und genau deshalb verlangt die Zeit, dass wir ihn setzen.

Sie sagen, die ersten Angriffe von rechts richten sich gegen Kultur und Wissenschaft. Wie groß ist die Gefährdung für unsere Demokratie insgesamt?

Sehr groß. Im Hessischen Landtag erlebe ich täglich, wie die AfD Geistes- und Sozialwissenschaften als "Agenda-Wissenschaften" diffamiert und die Genderforschung massiv bekämpft. In der Kulturpolitik wird Denkmalschutz auf klassische Monumente verengt, Vielfalt und Tiefe werden negiert. Und als wir im Parlament über Restitution debattiert haben, wurde im Landtag von AfD-Seite insinuiert, an jüdische Familien zurückgegebene NS-Raubkunst werde von den Nachfahren verscherbelt, um Millionen damit zu verdienen. Das bedient antisemitische Stereotype, die mir große Sorgen machen. Auch deshalb ist es Aufgabe der Wissenschaftspolitik, ein Bollwerk gegen Rechtsextremismus zu sein – im wissenschaftlichen wie im kulturellen Sinne.

Sie sind Mitglied im Parteivorstand der Bundes-SPD. Was macht das Besondere an sozialdemokratischer Wissenschaftspolitik aus – wo doch viele sagen, die alten Lager seien heute überwunden?

In der Wissenschaftsministerkonferenz arbeiten wir tatsächlich eng zusammen – über Parteigrenzen hinweg. Aber Unterschiede gibt es schon. Aus Unionskreisen höre ich stärker den Fokus auf Exzellenz im engeren Sinn und die Förderung der Spitze. Sozialdemokratische Wissenschaftspolitik ist nicht gegen den wissenschaftlichen Wettbewerb, aber sie sieht dabei auch die Breite: Exzellenzcluster oder Exzellenzuniversitäten sollen Impulse für das gesamte Hochschulsystem geben. Zu einer sozialdemokratischen Hochschulpolitik gehört für uns, dass jeder unabhängig vom Geldbeutel der Eltern studieren kann. Deshalb setzen wir auf eine starke BAföG-Reform und ausreichend Studierendenwohnungen. Wir legen Wert auf die staatliche Förderung der Hochschulen, während aus der Union öfter Stimmen kommen, die mehr auf private Träger setzen. Und schließlich verstehen wir Wissenschaft nicht nur als Motor wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch als gesellschaftspolitische Aufgabe – etwa mit der Stärkung der Demokratieforschung. Das sind Unterschiede, die erkennbar bleiben, auch wenn die Grenzen nicht trennscharf sind.

Apropos wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit: Die neue CSU-Bundesforschungsministerin, Dorothee Bär, treibt die Hightech-Agenda für Deutschland voran. Wie schlägt sie sich bislang?

Für jemanden, die vorher kaum Berührung mit Wissenschaftspolitik hatte, hat Dorothee Bär schnell die richtigen Worte gefunden, gerade auch, was das Verhältnis zu den Ländern angeht. Sie kam schon einen Tag nach ihrer Vereidigung zum Wissenschaftsrat nach Mainz, hat dort eine Rede gehalten, was nicht gerade häufig vorkommt, und so bei uns offene Türen eingerannt. Seitdem gibt es einen engen Austausch – etwa bei der Exzellenzstrategie.. Wichtig fand ich ihr Signal, eine Mitfinanzierung des Bundes bei Hochschulbau als "moralische Verpflichtung" zu bezeichnen. Die Hightech-Agenda bietet Anknüpfungspunkte für Hessen, etwa bei der Fusionsforschung in Darmstadt und Biblis oder neue Projekte der erneuerbaren Energieforschung in Kassel.Entscheidend wird sein, wie stark die Ministerin sich in den Haushaltsverhandlungen durchsetzt – und dass nicht wieder überproportional viel Geld nach Bayern fließt – wie früher bei CSU-Bundesverkehrsministern. Insgesamt läuft die Zusammenarbeit in ihren ersten gut 100 Tagen sehr gut, aber wir schauen genau hin.

Die Ministerin spricht von einer moralischen Verpflichtung, gleichzeitig sind für den Hochschul- und Forschungsbau gerade einmal 60 Millionen Euro pro Jahr aus dem Sondervermögen Infrastruktur vorgesehen. Ist das die Größenordnung, die Sie erwartet haben?

Ich sehe da keinen Anlass für Kritik an Frau Bär. Als Politik stehen wir hier insgesamt vor der Frage, wie das Sondervermögen verteilt werden soll. 500 Milliarden Euro klingt erstmal sehr groß, aber runtergerechnet auf die einzelnen Politikbereiche wird selbst so eine Summe schnell überschaubar. Klar könnte der Betrag für den Hochschulbau aus Sicht der Länder größer sein, aber die Verhandlungen sind auch noch nicht abgeschlossen. Wichtig wäre auch, die Mittel nach Artikel 91b – also für Forschungsbauten – aufzustocken. Sie stagnieren seit Jahren bei 400 Millionen von Bund und Ländern, während die Baukosten massiv steigen. Darüber müssen wir trotz angespannter Haushaltslage erneut sprechen. Aber nochmal: Jeder will sein Stück vom Kuchen, die Konkurrenz ist groß.

Ich bin erstaunt über Ihre Milde gegenüber Ihrer Bundeskollegin. Liegt das daran, dass Sie selbst gebranntes Kind sind und Kürzungen im Hochschuletat verkaufen müssen?

Die 60 Millionen Euro sind viel zu wenig – selbst wenn ich sie für Hessen allein bekäme. Aber ich werde mich jetzt hier nicht hinstellen und mit meiner Kritik an der Sondervermögen-Verteilung öffentlich einen Bundesfinanzminister attackieren, der aus meiner eigenen Partei stammt.

Und Ihr Parteichef ist.

Wir stehen alle gemeinsam vor der Herausforderung, die Mittel sinnvoll einzusetzen. Ursprünglich waren Hochschulen im Sondervermögen gar nicht vorgesehen, insofern stimmt die Richtung. Jetzt müssen wir die noch laufenden Verhandlungen nutzen, um mehr herauszuholen. Ich werde weiter dafür werben, dass Hochschul- und Forschungsbauten stärker berücksichtigt werden – auch wenn ich die Probleme der starken Konkurrenz durch andere Themen sehe.

Sie sind bei der GAIN-Jahrestagung dabei, die Ende dieser Woche in Boston stattfindet. Der Auflauf deutscher Politiker, Hochschulchefs und Forschungsmanager ist dieses Jahr noch größer als sonst. Weil angesichts der dortigen Angriffe auf Hochschulen und Demokratie alle ihre Chance wittern, den USA Talente abzuwerben? Was werden Sie den jungen Wissenschaftlern sagen, die Ihnen dort begegnen?


Es geht nicht darum, Talente abzuwerben, sondern darum, den internationalen Austausch zu fördern und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Perspektiven zu eröffnen. Wissenschaft lebt von Offenheit, Zusammenarbeit und gemeinsamen Werten – gerade in Zeiten, in denen Wissenschaftsfreiheit und Demokratie unter Druck geraten.

Was ich den jungen Forscherinnen und Forschern in Boston sagen werde, ist klar: In Hessen finden Sie exzellente Hochschulen, starke Forschungsnetzwerke, ein weltoffenes Umfeld und verlässliche Partner. Wir sind stolz auf unsere internationalen Kooperationen – ob mit Wisconsin, mit Massachusetts oder in Europa – und wir wollen, dass die besten Köpfe nicht zwischen Standorten wählen müssen, sondern grenzüberschreitend zusammenarbeiten können.

Mein Ziel ist, ein Zeichen der Solidarität und Partnerschaft zu setzen: Hessen steht für eine Wissenschaft, die Vertrauen schafft, Freiräume sichert und Zukunft gestaltet.

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